Das Ende der Fahrrad.de-Community und was man daraus für das Community Management lernen kann

Der Online-Shop Fahrrad.de ist ohne Zweifel ein Erfolg und auch die Geschichte liest sich so, wie man sich ein wirkliches Start-Up vorstellt. René Marius Köhler beginnt nach seiner Ausbildung damit, Fahrräder aus dem Laden seines Vaters via eBay zu verkaufen. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten läuft das Geschäft immer besser, 2003 startet Köhler unter der Domain Fahrrad.de einen eigenen Online-Shop. Der Laden brummt und unter der Dachmarke Internetstores AG entstehen weitere erfolgreiche eCommerce-Ableger im Fitness-Bereich.

Fahrrad.de-Community
Auch den Community-Trend erkennt Fahrrad.de früh und launcht 2007 eine eigene Fahrrad-Community auf Fahrrad.de:

Die internetstores AG hat die fahrrad.de Community auf die Beine gestellt, weil wir denken, dass sie aus zweierlei Gründen wichtig sein könnte. Zum einen, weil es einfach an der Zeit für ein Forum ist, das alle Fahrrad-Fans anspricht. Ein allgemeines, offenes Forum ohne Abgrenzungen, um das Wesentliche in den Mittelpunkt zu rücken ? den Menschen und seine Begeisterung fürs Radfahren.

Wir wollen Sie als User sozusagen aktiv als Produktivressource nutzen ? daraus machen wir keinen Hehl. Aber nicht allein aus dem Grund, weil wir denken, dass sich dadurch mehr verkaufen lässt. Sondern weil wir unseren Kunden damit ein Höchstmaß an Informationsqualität bieten können, die eine verbesserte Kaufentscheidung für jeden einzelnen möglich macht.

Das Engagement wird auch in den Medien positiv aufgenommen. Eine offene Themen-Community unter dem Dach eines eCommerce-Unternehmens hat etwas schwerere Startbedingungen als ein Projekt mit einem neutralen Anstrich. Aber Fahrrad.de bleibt dran, integriert das Forum in die Kaufberatung und entwickelt die Community mit Blogs, Videos, GPS-Touren und einem Wiki konsequent weiter. Ergebnis: Einige tausend Mitglieder, zehntausende Forenbeiträge und über 1.000 Bilder. Ein achtbarer Erfolg nach 3 Jahren, hier würden viele andere Unternehmen sicher gerne tauschen wollen.

Ein überraschendes Ende – Abschaltung der Community
Vor gut 4 Wochen wird die Fahrrad.de-Community allerdings (einigermaßen überraschend) geschlossen. Eine kurze Begründung gibt es immerhin:

Hallo Community,

wie Ihr sicherlich mitbekommen habt, ist bei uns im Unternehmen gerade sehr viel los. Auf ein Projekt folgt das nächste, so dass ich mich nicht mehr so intensiv um Euch kümmern konnte. Ich will Euch natürlich auch die Gründe dafür offen und ehrlich auf den Tisch legen:

Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass wir die Community, so wie sie aktuell besteht, nicht mehr weiterführen können und daher eine Lösung brauchen. Auch wenn es eine bittere und unangenehme Lösung sein wird.
Es liegt uns fern, Euch zu verärgern oder zu verlieren, wir sehen jedoch aus Kapazitätsgründen und diversen Umstrukturierungen im Unternehmen keine vernünftige Möglichkeit mehr, die Community so „am Leben zu erhalten“, dass wir Euch alle zufrieden stellen könnten. Persönlich bedauere ich es sehr, dass wir hier nun leider, hart gesagt, „abschalten“ müssen. Aber jede andere Entscheidung wäre nicht mehr zu vertreten und würde keinen Erfolg bringen.

Im weiteren Text werden u.a. technische Gründe angeführt, da man bei Änderungen an der Forensoftware immer wieder auf Bugs gestoßen sei und man sich daher für eine Abschaltung entschieden habe.

So viel zur Geschichte der Fahrrad.de-Community. Das Echo in den anderen Fahrrad-Communitys ließ auch nicht lange auf sich warten. An Gerüchten und Kritik wurde nicht gespart, es ist von vorgeschobenen Gründen und finanziellen Problemen die Rede. Gut lesbar und auffindbar für Suchmaschinen.

Was kann man aus dieser Geschichte für das Thema Community Management lernen?
Der Schritt zur eigenen Community für Fahrrad.de war meines Erachtens goldrichtig. Das Thema Fahrrad wird rege diskutiert, man kann die Kaufberatung integrieren und erhält gleichzeitig wertvollen Content für die Suchmaschinen-Strategie. Aber: Eine Community ist kein Produkt, was man mal auf den Markt bringt und im Zweifelsfall einfach wieder einstellt. Hier ist ein richtig langer Atem gefragt, über Jahre oder auch Jahrzehnte hinweg. Und eine ebenso konsequente Strategie, wenn das Engagement eingestellt werden soll bzw. muss.

Ziel von Fahrrad.de war es, eine allgemeine Fahrrad-Community zu etablieren. Die Zielsetzung ist auch bei den Mitgliedern angekommen und wurde wohl auch von den Community-Verantwortlichen und Community Managern gelebt. Aber: Es werden natürlich auch andere Händler empfohlen, man verweist auf andere Fahrrad-Communitys und kritisiert natürlich auch einmal die Preisgestaltung von Fahrrad.de. Stichwort: Fahrrad-Apotheke. Diese Nähe muss man aushalten können und für die eigene Entwicklung nutzen. Eine Community kann ein geniales Marktforschungsinstrument sein, wenn man lernt zuzuhören und daraus zu lernen.

Um die Aktivität unter den Mitgliedern zu erhöhen, hat Fahrrad.de Beiträge mit den „Internetstars“ (Rabattmarken) vergütet, die im Fahrrad.de-Shop eingelöst werden konnten. Incentivierung in Form von Boni oder Rabatten kann ein probates Mittel sein, wenn es dosiert eingesetzt wird. Problematisch wird es immer dann, wenn darin ein Hauptanreiz für die Aktivität besteht oder die Qualität der Beiträge nicht konsequent integriert wird. Weiterhin kritisch, wenn die Aktion nicht klar zeitlich begrenzt ist. Ohne zeitliche Begrenzung kann man die Incentivierung nicht mehr abschalten, ohne den Unmut der Mitglieder hervorzurufen. Auch wenn es sich das Unternehmen vielleicht schlicht und ergreifend nicht mehr leisten kann.

Steht ein Unternehmen hinter der Community, beäugen die Mitglieder die Aktivitäten von Seiten des Community Management kritischer. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, vor allem wenn sich zusätzlich Mitglieder ehrenamtlich als Moderatoren engagieren. Selbst diese Speerspitzen der Mitglieder über die Zukunft der Community im Dunkeln zu lassen, ist schlechtes Community Management. Transparenz ist unglaublich wichtig. Ein ambitioniertes Projekt wie die Fahrrad.de-Community durch ausbleibende Reaktionen von Seiten des Community Management bzw. der Administratoren langsam sterben zu lassen, ist nicht der richtige Weg. Und es ist auch ein Irrglaube, dass man ein Projekt dieser Größenordnung sich selbst überlassen und es einfach so weiterlaufen lassen kann. Im Gegenteil: Hier tickt unter Umständen eine Zeitbombe…

Dass ein erfolgreiches und preisgekröntes eCommerce Unternehmen mit 80 Mitarbeitern und 25 Millionen Euro Umsatz technische Probleme für die Abschaltung einer Foren-Software angibt, wirft im Zweifelsfall auch kein gutes Licht auf die involvierten Dienstleister und wird von Seiten der Community-Mitglieder als vorgeschoben kritisiert. Ob zu Recht, kann nur das Unternehmen selbst beantworten. Wenn von Kapazitäten die Rede ist, spricht man automatisch auch von Geld – schließlich kann man die Kapazitäten auch erweitern.

Grob geschätzt sollte sich ein Community-Projekt in dieser Größenordnung durchaus mit einem niedrig sechsstelligen Betrag pro Jahr (laut Geschäftsführer Köhler hat die Fahrrad.de-Community anscheinend fast unglaubliche 1,2 Millionen Euro pro Jahr gekostet – siehe Update unten) stemmen lassen, gemessen am Umsatz wären dies bei Fahrrad.de etwa 0,5%. Ob sich dieses Investment für ein Unternehmen lohnt, kann von außen nur schwer beurteilt werden, da viele Faktoren in die Bewertung einfließen. Oft wird aber der „Wert“ einer Community, die sich mit dem Produkt-Thema und unter Umständen sogar mit den konkreten Produkten des Unternehmens identifiziert, unterschätzt. Kurzfristige Umsatzziele stehen leider allzu oft konträr zu einer erfolgreichen Community-Strategie.

Fazit
Eine Community-Strategie sollte immer langfristig angelegt sein. Im Zweifelsfall schadet ein zu kurzfristiges Engagement mehr als gar kein Engagement. So positiv das Medien-Echo zum Start einer Community sein kann, so nachhaltig kann auch die Kritik und die Häme sein, wenn das Projekt kein „sauberes“ Ende findet.

Eine Community öffnet das Unternehmen gegenüber den Kunden. Dies bringt Nähe, diese Nähe gilt es aber auch auszuhalten. Mit allen Konsequenzen und von allen beteiligten Parteien, von der Unternehmensführung bis zum Community Management.

Die Kommunikation mit den Mitgliedern ist wichtig. In guten wie in schlechten Zeiten. Wenn es gut läuft, darf gerne darüber gesprochen werden, wenn es schlecht läuft, dürfen Rückfragen der interessierten Mitglieder nicht unbeantwortet bleiben. Hier muss es klare Anweisungen und Kompetenzen für die Community Manager geben.

Am Ende des Tages muss in einem Unternehmen die Kasse stimmen, keine Frage. Die Monetarisierung einer Community beinhaltet aber nicht nur direkte Einnahmen (Werbung, Produktverkauf) sondern auch indirekte Elemente wie Ersparnis bei Werbeausgaben, Marktforschung, Erhöhung der Brand-Awareness etc.

Entscheidet man sich als Unternehmen, das Produkt Community einzustellen, ist ebenfalls klare Kommunikation gefragt. Frühzeitig, offen und ehrlich. Die Mitglieder zeigen Verständnis gegenüber Offenheit, sparen aber auch nicht mit Gerüchten und Kritik, wenn sie keine oder nur unzureichende Informationen erhalten.

Update 04.06.2010:
In einem Interview mit der Internet World Business (Ausgabe 11/10, Seite 30, Link auf Artikel im Heftarchiv folgt) hat sich Rene Marius Köhler zur Schließung der Fahrrad.de-Community geäußert:

Die Schließung der Community basiere auf rein ökonomischen Überlegungen, Köhler spricht dabei von rund 100.000 Euro laufender Kosten pro Monat (!) für die Community. Eine Migration der Community auf die neue Shoppingplattform hätte eine Kostensteigerung von weiteren 20% verursacht. Auch äußert Köhler, dass die Community (gemessen am Aufwand) einfach kein Erfolg gewesen sei und räumt ein, dass eine Migrationsstrategie für die Community-Mitglieder (z.B. zu Facebook) gefehlt habe.

1,2 Millionen Euro pro Jahr für 15.000 Mitglieder (davon 100 aktiv) und 50 Beiträge am Tag? Der Inhaber der verantwortlichen Agentur wäre ich gerne…